Die Feigenbaum Entscheidung

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Die Uhr tickt schwerfällig, das massive Pendel droht die Zeit zu schlagen. Spärlich ist die Küche in schwaches Kerzenlicht getaucht.

„Wir haben kein Brot,“ sagt Martha.

„Ja,“ bestätigt Hans, „die Marken werden nicht für die Woche reichen, erst nächste Woche gibt es neue Marken.“

„Morgen früh werde ich in der Mangel nach Arbeit fragen.“

„Ja, Weib, ich versuche Kohlen zu bekommen. Es wird schon kalt. Der Winter steht vor der Tür.“

Auf der Anrichte liegt das Küchenmesser. Die saubere Klinge ist zackig ausgebrochen. Die Emaile des leeren Brottopfs spiegelt das dünne Licht und das Ticken der Uhr benetzt das Schweigen.

„Die Leute sagen, dass morgen die Deportation auch hier beginnt.“

„Im Kramladen hörte ich das auch,“ bestätigt seine Frau.

„Ich muss immer an die Kinder denken.“

Die Freigenbaum Entscheidung

Die Feigenbaum Entscheidung, Zeichenstudie in Pastellkreide, Larisa Richard im Juli 2015

„Lass uns ihnen hier Unterschlupf gewähren.“

„Weib, ich würde gerne, aber wir haben nur eine Stube und die Küche. Wie sollen wir drei Kinder erklären?“

Die Kälte aus der Stube zieht in die Küche. Undichte Fenster, ein scharfer Wind, das Licht der Kerze flackert. Die Blicke treffen sich.

„Vermutlich werden die Kinder auch nicht Fischer heißen wollen.“

„Außerdem sind wir ihnen sicher zu alt, Martha.“

„Ja. Bestimmt werden sie verschont.“

„Trotzdem, ich werde hinaufgehen und sie warnen.“

Durch die geöffnete Tür schallen die sanften Schritte aus dem Treppenhaus in die Küche. Leiser und leiser dringt der Tritt vom Dachgeschoss herunter. Stille.

„Ich wagte nicht zu klopfen. Wenigstens eine ruhige Nacht sei ihnen noch vergönnt.“

„Mann, Du hast gut gehandelt. Vielleicht hätten sie sich auf der Flucht verraten. Warum dem Teufel den Weg zeigen, wenn er ihn nicht findet.“

In der Nacht dröhnen die harten Schritte der Schergen von unten durchs Treppenhaus. Mächtiges Poltern der Stiefel und lärmende Stimmen schlagen eine scharfe Schneise in die Stille. Die kalte Luft bebt.

Hämmernd wird die Tür bearbeitet. Hans öffnet.

„Mitkommen!,“ lautet der Befehl.

„Ja,“ sagt Martha und schweigt. Die Blicke der Eheleute treffen sich liebevoll.

Das Paar wird das Treppenhaus herunter gestoßen und auf der Ladefläche abgelegt. Dann setzt sich der Trupp in Bewegung und verschwinded im düsteren Dunkel.

Feigenbaum`s öffnen vorsichtig die Tür ihrer Dachgeschoßwohnung. Außen an ihrer Tür hängt ein Schild ‚Fam. Fischer’ und in der Ecke nahe der Zarge steht ein Pappkarton gefüllt mit sämtlichen persönlichen Dokumenten der Eheleute Fischer und den letzten Marken.

Unten pendelt die Wohnungstür offen im Windzug und zeigt die Kreideaufschrift

‚Fam. Feigenbaum.’

Eine Kurzgeschichte von Dr. Ingo Hoffmann, Wuppertal im März 2013.

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