Neuer Beitrag – Chemisches Potenzial und Nutzenfunktion
A closer look at the chemical potential of an ideal agent system
Autoren
Christoph J. Börner, Ingo Hoffmann und John H. Stiebel
Zeitschrift
Journal of Economic Interaction and Coordination, July 2024.
Kommentar – Chemisches Potenzial und Nutzenfunktion
Was hat das chemische Potenzial mit Fragestellungen in der Ökonophysik zu tun?
In der statistischen Physik ist das chemische Potenzial als Zustandsgröße definiert. Durch Analogieschluss wird in der Ökonophysik eine äquivalente Zustandsgröße bei der Modellierung von Agentensystemen definiert.
Diese Größe wird ebenfalls als chemisches Potenzial bezeichnet und beschreibt im additiven Beitrag zur Nutzenfunktion die Änderung des Nutzens , wenn sich die Anzahl der Agenten ändert (cet. par.):
.
Erste Anwendungen zur Simulation von Agentensystemen gehen in der Ökonophysik von einem konstanten chemischen Potenzial aus.
Genau wie in der Physik stellt sich jedoch die Frage nach der Zustandsgleichung, die das chemische Potenzial mit anderen Zustandsgrößen des Agentensystems verknüpft.
Ein einfaches Übertragen von entsprechenden Zustandsgleichungen der statistischen Physik in die Ökonophysik per Analogie ist schwierig und kann zu Problemen bei der Interpretation führen.
Der veröffentlichte Beitrag leitet für das einfachste denkbare Beispiel eines idealen Agentensystems die exakte Zustandsgleichung her, mit Hilfe derer aus den zugänglichen und messbaren Zustandsgrößen des Agentensystems das chemische Potenzial eindeutig bestimmt werden kann.
Der grundsätzliche Zusammenhang hätte erraten werden können, wird aber hier aus der Theorie hergeleitet:
Ändert sich die Anzahl der Agenten, so ist die damit verbundene Nutzenänderung groß, wenn
- große Unsicherheit und
- geringe Meinungsgleichheit
vorherrschen.
Dieser Zusammenhang drückt sich formal in der im Beitrag hergeleiteten Zustandsgleichung für das chemische Potenzial aus:
.
Letztere Gleichung wird im Beitrag für das ideale Agentensystem im Detail beschrieben und stellt das Hauptergebnis dar.
Die Zustandsgröße entspricht dabei formal der aus der Physik bekannten Temperatur und ist ein Maß für die im Agentensystem herrschende Unsicherheit.
Die Konstante erlaubt die Nutzenänderung in Geldeinheiten auszudrücken. Sie erfüllt somit eine analoge Funktion, wie die Boltzmann-Konstante in der Physik.
Der Wert der Meinungsgleichheit wird mit der Zustandsgröße gemessen. In der Physik entspricht sie der Magnetisierung.
Mit wird der Wert für die maximale Meinungsgleichheit bemessen. Dabei bedeutet die maximale Meinungsgleichheit, dass sich alle Agenten einig sind.
Der Ausdruck kann daher ausschließlich Werte zwischen 0 und 1 annehmen.
Insgesamt kann das chemische Potenzial als Nutzenänderung pro hinzukommendem oder fortgehendem Agenten somit lediglich Werte zwischen 0 und aufweisen.
Weitere Implikationen, Grenzen der Anwendung und Ausgangspunkte für weitere Forschungen werden im Beitrag ebenfalls diskutiert.
Der Beitrag zählt zu den theoretischen Grundlagenforschungen in der Ökonophysik.
Weiterleitbarer Link zur Ansicht: https://rdcu.be/dO7d5