Es war nichts zu machen – das rechte Knie des Jungen musste operiert werden. Der Junge war handwerklich begabt und hatte schon Vieles ausprobiert. Er legte seine Werkzeuge vor dem Chirurgen hin und sagte: „Nimm, was Du brauchst, um mein Knie zu reparieren!“ Der Chirurg überlegte kurz, lächelte den Jungen an und erwiderte: „Ich werde sehen, was ich gebrauchen kann. Verlass Dich nur auf mich. Wir machen das Knie wieder ganz.“
Vor dem Arzt lagen: ein kleiner Hammer, eine Zange, ein Seitenschneider, zwei Gummiringe (blau), ein Spanngurt, eine spitz zulaufende Pinzette, vier Nägel, fünf Schrauben, drei Heftzwecken und eine Packung Zweikomponentenkleber.
Die Operation verlief gut, aber natürlich hatte der Chirurg die Werkzeuge des Jungen nicht benutzt. Der Junge aber, kaum dass er aus der Narkose erwacht war und ihm nicht mehr übel war, fragte die Krankenschwester: „Weißt Du, was der Doktor von meinen Sachen für das Knie benutzt hat?“ Sie wusste es nicht, wollte aber auch keine Unwahrheiten erzählen. Deswegen arrangierte sie einen Besuchstermin im Zimmer des Arztes.
Dort zeigte ihm der Chirurg zwei Kniegelenke, die Teile eines aus Kunststoff nachgebauten Skeletts waren. Der Junge hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und verfolgte alles sehr interessiert. „So eins haben wir auch im Bioraum in der Schule!“, rief der kleine Patient freudig aus und klatschte in die Hände. Am linken Knie des Skeletts erkannte er kleine Schrauben, einen Nagel, Gummiringe und an der Kniescheibe innen ein Stück Kork. „Sieht mein Knie jetzt innen so aus?“, fragte der Junge ungläubig. Der Arzt lächelte wieder lieb, wie er es schon vor der Operation getan hatte. Er hockte sich vor den Jungen hin und sagte: „Du wirst noch ein paar Tage hier im Krankenhaus sein. Währenddessen wirst Du wieder laufen lernen und kannst Dir überlegen, ob Dein repariertes Knie dem linken oder dem rechten des Skeletts ähnelt.“
Nach einigen Tagen konnte der Junge schon gut mit den Gehhilfen umgehen und wurde nach Hause entlassen. Er hatte das Rätsel gelöst und war ein bisschen weniger Kind, als ihm der Chirurg einen Beutel mit Salbe, Kühlgel und verschiedenen Werkzeugen vor die Brust hing. Das baumelte ordentlich am Körper des Jungen herum, bis ein Pfleger ihm den Beutel abnahm und ihn damit zum Ausgang begleitete.
Als der kleine Patient in das Auto seines Bruders kletterte, sah er den Chirurgen an einem Fenster stehen. Dieser winkte lächelnd und zeigte mit dem Daumen der rechten Hand in die Luft. Zum ersten Mal nach der Operation lachte der Junge so richtig, vergaß die Schmerzen und ahmte die Geste des Arztes nach. Dies wiederum rührte den Chirurgen. Er setzte sich einen Augenblick auf die Pritsche, die sonst den Patienten diente. Tränen liefen über seine Wangen.
Eine Kurzgeschichte von Stefanie Glave, Wuppertal am 25.11.2017.