Bezwingen Sie die Hindenburg Insel, so stand es auf den Plakaten, die überall in den Straßen von Bagicz an den Laternenmasten prangten.
Auch die eigens für diesen Wettkampf konzipierte Internetseite warb mit dem Slogan und lockte neben den zahlreichen schaulustigen Urlaubern regelmäßig viele kampferfahrene Veteranen aus allen Ländern in die kleine Stadt an der polnischen Ostsee.
Unter den Wettkampfteilnehmern befanden sich in den letzten Jahren öfter auch Jungspunde, die aufgrund ihrer Computerspielerfahrung der Meinung waren, für ein ´Korrektes Battle´ gewappnet zu sein.
Einer von diesen jungen Wilden war in diesem Frühjahr Gerd-Ohm von Lützenbach-Tauern, der jüngste Spross einer adligen deutschen Familie. Stets bemüht nicht unerwähnt zu lassen, dass seine Vorfahren schon auf diesem Boden gekämpft hatten und er sich nun in die Reihe der erfolgreichen Ahnen eingliedern möchte.
Während die Veteranen am Vorabend des Wettkampfes sich auf dem Empfang des Oberbürgermeisters Mut antranken, saßen die jüngeren Teilnehmer in kleinen Gruppen um Lagerfeuer herum im kühlen Ufersand.
Sie lauschten dem Knistern der Feuer, dem Geklimper der Gitarren und den Erzählungen der alten Bewohner von Bagicz.
Einig im Geiste und in der Tat, war das ´Du´ selbstverständlich.
„Sag alter Mann“, begann Gerd-Ohm seine Frage, „wie kommt Ihr dazu einen solch merkwürdigen Wettkampf auszurichten?“
Zwar mit Akzent aber gut verständlichem Deutsch erwiderte Kamil Ladowicz: „Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bedroht uns die Hindenburg Insel.
Immer wieder kamen in den ersten Jahren nach Kriegsende unsere Fischer mit ihren Booten in Gefahr und viele Seemänner ließen ihr Leben.
Auch ganze Containerschiffe samt ihrer Mannschaft und Ladung verschwanden spurlos in der kalten See.
Bald wurden wir gemieden und es wurde spukhaft ruhig im Ort.
Wir konnten da nicht tatenlos zusehen und haben dann diesen Wettkampf mit der schweren Nahkampfspange 1. Klasse in purem Gold als Siegerpreis ausgelobt.“
Die Sonne berührte den Horizont und der Wind wurde schärfer. Irgendjemand legte einige weiter Holzscheite auf und die Funken stoben wie Salven von Leuchtspurmunition in den Himmel.
„Kamil, was macht die Hindenburg Insel den so gefährlich?“, fragte Gerd-Ohm weiter.
„Die Hindenburg Insel wurde irgendwann während des Zweiten Weltkriegs als vorgelagerter Verteidigungsposten von der deutschen Wehrmacht aufgebaut“, begann Kamil und deutete mit zittrigen Fingern auf das Meer hinaus auf den schwachen Fleck in etwa fünf Kilometer Entfernung.
„Seit Anfang 1938 stand praktisch ganz Bodenhagen, das heutige Bagicz, mit dem eilig aus dem Boden gestampften Flughafen unter dem Regiment des Ersten Kampfgeschwaders Hindenburg der deutschen Wehrmacht.
Von hier aus wurden tief im Süden liegende polnische Städte bombardiert.
Zum Schutz des Flughafens vor Angriffen von der See her, nutzte das Erste Kampfgeschwader die Hindenburg Insel als autonome Verteidigungsanlage.“
„Alte Geschichten“, murmelte jemand und zog sich den Missmut der anderen zu.
Kalter Wind zog von Osten auf. Das Feuer glühte hell auf und Feuerzungen lösten sich. Sand wirbelte herum. Überall am Strand verstreut waren Lagerfeuern zu erkennen, aber der tosende Wind überdeckte alle Geräusche und Gespräche der anderen Gruppen.
Gerd-Ohm wurde nachdenklich und fragte weiter. „Kamil, was meinst du mit autonom genau?“
„Die Hindenburg Insel ist seit dem Zweiten Weltkrieg vollkommen autark. Kein Mensch hat die Hindenburg Insel seither betreten.
Wir beobachten, dass die Hindenburg Insel Ziele auf See erfasst und dann mit Ihren Waffen vernichtet.
Bei den auf der Insel verbauten Maschinen, handelt es sich um eine sehr gute, ganz alte Technik, die bis heute funktioniert und die wir nicht abschalten können.
Wir gehen davon aus, dass die Ingenieure der Wehrmacht Kraftwerke, Radaranlagen, Munitionskammern und Geschütztürme in einer einzigartigen Art und Weise verschaltet haben, die dazu führt, dass das höllische Netzwerk noch heute funktioniert.
Alles was sich bis auf etwa drei Kilometer der Hindenburg Insel nähert, ob Boot, ob U-Boot, ob Flugzeug, ob Rakete, ob sonst etwas, wird automatisch vernichtet.“
Kamil setzte nach: „Vollständig vernichtet!“
Die Sonne war verschwunden und die Angst in den Gesichtern konnte nur im schwachen Feuerschein erahnt werden. Ein Handy klingelte, das Gespräch wurde nicht angenommen.
„Und der Wettkampf?“, fragte jemand.
„Der Wettkampf dient dazu dem Spuk ein Ende zu bereiten“, resümierte Gerd-Ohm und Kamil nickte.
„Aus alten Beständen der polnischen Streitkräfte stellen wir euch bewaffnete Flugzeuge zur Verfügung in der Hoffnung, dass es irgendwann einmal jemand schafft, die Hindenburg Insel zu bezwingen“, ergänzte Kamil.
„Ich habe keine Fluglizenz“, bemerkte jemand aus der Runde.
„Die Flugzeuge sind automatisiert und es sind nur wenige Handgriffe nötig. Ihr werdet eine kurze Einweisung bekommen. Wichtig ist nur das Steuern und den richtigen Treffer auf der Hindenburg Insel zu erzielen“, erklärte Kamil.
„Wie in einem PC-Spiel“, war aufgesetzt heiter aus der Runde zu vernehmen.
Den Magen voll Wodka, die Finger kalt und die Seele heiß, zogen sich die jungen Teilnehmer zu ihren am Strand aufgebauten Zelten zurück. Bei den meisten wechselte sich Angst und Übermut ab, bevor sie einschliefen. Der kümmerliche Rest kippte im Vollrausch einfach um und schnarchte vor dem verschlossenen Zelt im Sand.
Kamil machte sich auf den Heimweg. Morgen, so sann er nach, würde wieder ein großer Tag werden. Alle drei Monate so ein Ereignis lockte ungemein viele Besucher an. Die Stadtkasse war gut gefüllt und den Menschen in Bodenhagen ging es nach dem Zweiten Weltkrieg noch nie so gut. Der Wettkampf war ein Segen für die Stadt, bestärkte sich Kamil.
Tausende von Touristen säumten die alten Militärmaschinen auf den Startbahnen. Die Schaulustigen verteilten sich auf den zahllosen alten, überwachsenen Flugzeugbunkern.
Ein Meer von Menschen und mittendrin Getränkestände, Imbissbuden und Eisverkäufer.
Zahlreiche Discostände wetteiferten lautstark gegen die Blaskapelle, die das Zentrum des Geschehens darstellte und die Ehrenloge im Menschengewühl markierte.
Der Oberbürgermeister, Piotr Niestara, erklomm das Rednerpult und begrüßte die Ehrengäste in mehreren Sprachen.
Er war als Politiker ein guter Schauspieler, bezeichnet er im Stillen einerseits die Ehrenloge als Herdenauftrieb von Würdenträgern, so war anderseits seine Rede verbindlich, dem Ernst der Lage seriös angemessen und frei von Spitzen in Richtung der Gäste und Wettkampfteilnehmer.
Zum Abschluss seiner Rede deutete er mit weit geöffneten Armen auf die rund hundert älteren und jüngeren Wettkampfteilnehmer, wünschte ihnen viel Erfolg und eine gesunde Heimkehr.
Sein Ruf „Mögen die Spiele beginnen“ veranlasste die Wettkämpfer in ihre Flugzeuge zu steigen.
Gerd-Ohm von Lützenbach-Tauern war frustriert und die Hochnäsigkeit der vergangenen Wochen wich blanker Ernüchterung. Bei der Verlosung der Flugzeuge hatte er lediglich einen umgebauten Doppeldecker russischer Bauart mit leichter Bewaffnung ergattert.
Damit, so konstatierte er für sich, war kein Kampf zu gewinnen. Das neue Bild in der Ahnengalerie seiner Familie vom erfolgreichen Helden Gerd-Ohm wurde vor seinem geistigen Auge farblos und blass.
Der Höhenmesser des alten Jagdflugzeug Polikarpow I-3 trug den Jahresstempel 1929. Zwar fand er eine Reihe von Neuteilen in der Propellermaschine vor, doch war ihm sehr mulmig zu Mute als er den roten Startknopf drückte.
Wird schon schief gehen, dachte er sich und manövrierte das knatternde Flugzeug zur Startbahn. Dort ordnete er sich in der Reihe der startfertigen Wettkämpfer ein.
Gleichzeitig von allen Bahnen starteten jeweils fünf Teilnehmer in Richtung Hindenburg Insel, so dass nach kurzer Zeit sämtliche Maschinen über der stillen See dröhnten und den Himmel mit ihrem Abgas trauerschwarz färbten.
Wenige Minuten später war ferner Kanonendonner zu hören und durch die Ferngläser sahen die Touristen Lichtblitze auf der Hindenburg Insel. Die Geschütztürme der Hindenburg Insel feuerten aus allen Rohren auf die anfliegenden Flugzeuge.
Mit Schrecken sahen die Ehrengäste, wie die ersten Flugzeuge in einem Feuerball verglühten. Die Hindenburg Insel hatte den Verteidigungskampf aufgenommen.
Die Trümmer der Maschinen stürzten herab und versanken im Meer. Torpedos lösten sich von der Insel und zermalmten den schwimmenden Rest der Flugzeuge.
Keine Rettungsmannschaft würde je nach Überlebenden suchen. Wenn es welche gab, so mussten sie zum Strand zurück schwimmen, so war der Vertrag.
Gerd-Ohm befand sich in einem irrsinnigen Gemetzel. Eine Hölle, die nichts mit der sterilen Virtualität seiner Computerspiele zu tun hatte, sondern entsetzlich tödliche Realität war.
Vor sich sah er durch den drehenden Propeller in das Mündungsfeuer der Kanonen auf der Hindenburg Insel und neben sich hörte er dumpf die angsterfüllten Schreie der getroffenen Mitstreiter durch die Luft wabern.
Unter sich blickte er auf die koffergroßen Trümmer die im brennenden Kerosin auf der Meeresoberfläche trieben. Vereinzelt schwammen Piloten in Richtung Strand.
Gerd-Ohm zählte noch rund zwanzig Flugzeuge in der Luft. Seine betagte Polikarpow war zwar das langsamste von allen Flugzeugen, sie ermöglichte ihm aber sehr tief zu fliegen. Er entschied sich unter dem Radar durchzufliegen.
Drei Meter über dem Meer flog er knapp über den Kerosinfeuern dahin und bemerkte, dass Torpedos unter ihm ziellos durch die See pflügten.
Die anderen Piloten machten mit ihren angeschossenen Maschinen kehrt und flogen über Gerd-Ohm zurück nach Bagicz. Jetzt war er allein.
Das Donnern der Kanonen hörte auf. Er schien für das Luftraumüberwachungsradar unsichtbar zu sein. Jedoch nahm die Intensität der Torpedos zu.
Die Maschinen auf der Hindenburg Insel gehen davon aus, dass ich in einem Boot unterwegs bin, schlussfolgerte Gerd-Ohm und setze seinen Flug fort.
Nahezu unbehelligt erreichte er wenige Minuten später die Küste der Hindenburg Insel.
Beim Anflug erblickte er in einiger Entfernung ein etwa zwei Meter dickes Rohr, das aus dem Meer auf die Insel und dort zu den schemenhaft erkennbaren Gebäuden führte.
Er drehte bei und überflog sehr tief den Geröllstrand bis zu dem Rohr. Er konnte nicht die Insel überfliegen, das war ihm klar, dann würde er sterben, also entschied er sich, dieses Rohr zu vernichten.
Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wenigstens ein Nadelstich in die höllische Maschinerie der Hindenburg Insel, besann er sich und feuerte mit seinen Maschinengewehren auf das Rohr.
Kurz vor dem Überflug löste er die Fliegerbombe vom Rumpf, die schließlich das Rohr vollständig aufplatzen lies. Die Rohrverbindung war auf mehreren Metern unterbrochen.
Er flog weiter die Küste entlang, um irgendwo wieder in drei Meter Höhe über das Meer zurück nach Bodenhagen zu fliegen. Er blickte nicht mehr zurück zur Hindenburg Insel.
So sah er auch nicht, dass aus dem Rohr zerrissene Fieberglaskabel, Stromleitungen und Transportbänder herausragten.
In der hochmodernen, unterirdischen Kommandozentral Bodenhagen tobte General Piotr Niestara und sein Oberst Kamil Ladowicz fasste sich entsetzt an die Stirn.
Jetzt waren die reichlichen Einnahmen in der Zukunft ausgeschlossen. Ihr höllisches Spiel war vorbei. Es würde Untersuchungen geben und sie müssten sich rechtfertigen.
Beide, der Oberbürgermeister und der Stadtkämmerer von Bagicz, blickten auf die flimmernden Bildschirme ihrer geheimen Kommandozentrale und erkannten bitterlich, dass die Hindenburg Insel bezwungen war.
Eine Kurzgeschichte von Dr. Ingo Hoffmann, Wuppertal im April 2015.